„Mir hat es so gut gefallen, dass ich jetzt ein ganzes Semester in England plane“
Tunay 27 Vereinigtes Königreich
Studiert Soziale Arbeit

Tunay studiert Soziale Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule in München. Im Rahmen einer Studienreise war er mit seinen Kommilitonen eine Woche lang in Leeds in England unterwegs. Dort hat er erlebt, was Barrierefreiheit wirklich bedeutet.

Was haben du und deine Kommilitonen in Leeds gemacht?

Wir haben uns angeschaut, wie Soziale Arbeit in England funktioniert.  Unter der Woche hatten wir vormittags ein Studien-Programm, bei dem uns zwei Professoren der Uni in Leeds eine Einführung in die Geschichte der Sozialen Arbeit in England gegeben haben. Dann durften wir verschiedene soziale Einrichtungen besuchen und uns dort mit Fachkräften austauschen.

Nachmittags hatten wir viel Freizeit. Gemeinsam mit den englischen Studierenden haben wir die Stadt auf eigene Faust erkundet und verschiedene Sachen unternommen.

Was hat dich motiviert ins Ausland zu gehen?

Ich liebe es, meinen Horizont zu erweitern. Und da ist es mir auch egal, dass ich beeinträchtigt bin. Ich lebe im Hier und Jetzt.  Man sollte das Beste aus allem machen und im Leben möglichst viel mitnehmen. Manchmal ist das nicht einfach. Aber ich denke mir immer: Was nicht passt, wird passend gemacht! Außerdem liebe ich es, Englisch zu sprechen, neue Leute kennenzulernen und mit meinen Kommilitonen etwas zu unternehmen. Für mich wird Inklusion großgeschrieben.

War das deine erste Studienfahrt?

Nein, meine zweite. Ich war schon einmal in Tschechien. Es war aber meine erste Studienfahrt nach England und auch meine erste Reise mit dem Flugzeug. Ich bin davor nie  geflogen, weil ich dafür so vieles organisieren und mitnehmen muss. Die Reise war für mich sehr herausfordernd. Aber ich habe sie gemeistert. Und es war einfach nur cool.

Vor welchen Herausforderungen standest du? Was musstest du vor der Abreise alles beachten?

Da ich pflegebedürftig bin, brauche ich spezielles Equipment. Wie zum Beispiel einen Dusch-Stuhl oder einen Lifter. Das ganze Equipment konnte ich nicht im Flugzeug transportieren. Deswegen musste ich monatelang rumrecherchieren, wo ich diese Ausrüstung in England ausleihen kann – und das auch noch auf einer fremden Sprache. Mein Englisch ist leider nicht „the yellow from the egg“ (lacht).

Und wenn ich mit Engländern telefoniert habe, dann dachte ich mir oft: Oh mein Gott, sie sprechen so schnell. Das war sehr herausfordernd. Ich musste zum Beispiel im Hotel anrufen und nachfragen, ob es wirklich rollstuhlgerecht ist.  Ich habe in einem Hotel übernachtet, weil das Hostel, in dem meine Kommilitonen schliefen, nicht barrierefrei war.

Welche Unterschiede zwischen Deutschland und England sind dir am stärksten in Erinnerungen geblieben?

England ist viel barrierefreier als Deutschland. Ich dachte immer Deutschland sei  das Musterland, in dem beeinträchtige Menschen autonom leben können. Aber nach meiner Studienfahrt, dachte ich mir einfach nur: Wow! Es geht also noch besser.

Wie hat sich das bei deinem Aufenthalt in Leeds bemerkbar gemacht?

Das fing schon bei der Anreise an: Die Ankunft am Flughafen in Manchester war super. Die Zugfahrt nach Leeds lief einwandfrei. Und als ich am Hauptbahnhof in Leeds ankam, war ich überrascht: Dort standen fünf bis sechs behindertengerechte Taxis. Ich konnte einfach spontan aussuchen in welches Taxi ich steige und entscheiden, wohin ich fahren möchte. Das war für mich ein richtiges Highlight. In Deutschland gibt es das leider nicht. Hier muss man solche Taxis vier bis fünf Tag vorher bestellen, damit man überhaupt von A nach B kommt.

Außerdem sind moderne Gebäude barrierefrei. Und auch ältere Häuser sind renoviert. Überall gibt es elektrische Rampen, mit denen ich in jedes Gebäude kam. Und auch die Reisebusse, die nach London oder Liverpool fahren, sind barrierearm. Ich war einfach nur baff. In München ist keiner der Reisebusse rollstuhlgerecht ausgestattet.

Kurz gesagt: Als beeinträchtigter Mensch habe ich mich in Leeds nicht mehr so beeinträchtigt gefühlt. Mir hat es so gut gefallen, dass ich jetzt ein ganzes Semester in England plane.

Wie laufen die Planungen für dein Auslandssemester?

Es ist sehr viel zu organisieren. Ich muss vor allem eine barrierefreie Unterkunft finden, das ist schwierig. Dann benötige ich wieder das Equipment – diesmal sogar für ein komplettes Semester. Wie teuer ist das? Wo finde ich Assistenzkräfte? Wer kann mich vor Ort unterstützen? Das sind ganz neue Herausforderungen. Ich habe sehr viel Respekt davor. Aber ich will das durchziehen. Ich habe eine sehr hohe Willenskraft.

Was nimmst du von deiner ersten Reise nach England mit?

Ich habe meinen Horizont immens erweitert. Ich habe erlebt, wie barrierefrei England ist. Das möchte ich vor allem meinen Mitmenschen weitergeben, die ebenfalls beeinträchtig sind. Ich kenne viele Freunde, die nicht die Möglichkeiten haben. Denn wir wissen oft nicht, ob es das entsprechende Equipment vor Ort gibt.

Durch Reisen wird man außerdem reifer. Man lernt andere Menschen kennen und neue Orte. Das ist etwas sehr schönes. Ich kann nur sagen: Leute, zieht das einfach durch. Wenn man solch eine Gelegenheit hat, dann sollte man das machen! Und egal wie schwer es manchmal ist, mit den richtigen Leuten ist es einfacher. Oder mit den richtigen Stiftungen.